Ich geh den ganzen Weg…

Cleopatra

mit Dir, das habe ich in Gedanken immer zu meinen Tieren gesagt, wenn sie älter und grauer wurden. Und danach möchte ich nicht noch einmal ein Tier haben und wieder vor der Entscheidung stehen: muss ich mich jetzt verabschieden, mein Tier gehen lassen oder geht es von alleine. Und wenn ich es entscheiden muss, wann ist denn der richtige Zeitpunkt. Wer sagt mir denn, dass es jetzt ist und nicht schon einen Tag vorher oder eine Woche später? Mein erster Kater wurde eingeschläfert und ich konnte nicht dabei sein. Ich hab mir geschworen, das passiert mir nie wieder. Mein zweiter Kater starb in meinen Armen. Der dritte Kater wurde eingeschläfert, als ich verreist war. Ich habe es nicht geschafft, rechtzeitig zurückzukommen und habe mich furchtbar gefühlt.

Meine Katze hat mich viele, viele Jahre begleitet. Sie wurde sehr alt, sie wurde dement, sie  wurde taub, hat nur noch wenig gesehen, sie hat sich verlaufen und ich habe große Ängste ausgestanden, dass ich sie nicht wiederfinde. Sie war aber immer sehr freiheitsliebend und so habe ich erst die Katzenklappe verschlossen, als es gar nicht mehr anders ging. Da war sie aber zufrieden mit, sie hat zum Schluß eh die meiste Zeit verschlafen. Wenn sie wach war oder aufgewacht ist, hat sie nach mir gerufen. Da sie nichts mehr gehört hat, war das Rufen entsprechend laut, auch nachts. Ich habe mich oft wie gerädert gefühlt, wenn ich gerade erst eingeschlafen war und sie dann die Idee hatte, jetzt ist Zeit für Fressen oder Schmusen oder manchmal auch ein bisschen spielen. Und manchmal bin ich auf Unverständnis gestossen, weil ich nicht mehr abends weggehen wollte oder länger in Ferien in der letzten Zeit. ‚Du musst doch auch an Dich denken, wieso tust Du Dir das denn an?‘

Gegenfrage: Was hab ich mir denn angetan? Was sind ein paar – oder auch mal viele paar – Nächte mit wenig Schlaf? Es ist doch auch schön, wenn man zu seinem grauen Schnauzentier  geht, es zu sich nimmt und an sich kuscheln lässt und dieses dann entspannt einschläft für den Rest der Nacht, weil es sich aufgehoben und beschützt fühlt?

Ich war in ständiger Sorge, dass ich den ‚richtigen Moment‘ verpasse, dass ihr Zustand in Leiden übergeht und ich das vor lauter nicht Loslassen können nicht sehen will.

Ich habe schon viele Sterbebegleitungen gemacht und Tiere gehen sehen, es ist nichts Fremdes für mich und auch nichts Schlimmes. Das Sterben gehört halt dazu, bei jedem Lebewesen. Ich bin froh, dass wir die Möglichkeit haben, unseren Tieren zu einem würdigen Ende zu verhelfen und ihnen viele Schmerzen ersparen können. Und dass wir dabei sein können – wenn wir das denn können. Ich weiss, dass es viele Menschen nicht schaffen, diesen letzten Weg mit Ihrem Vierbeiner zu gehen, sie können es einfach nicht aushalten. Und deshalb muss sich auch niemand schuldig fühlen, unsere Tiere verstehen das schon. Die haben meist ihr Leben lang fast nichts anderes getan, als uns zu beobachten und zu studieren, manchmal denke ich, sie haben uns besser durchschaut als wir uns selbst. Aber es kann auch sehr sehr friedvoll sein, gemeinsam mit seinem Tiergefährten die letzten Stunden zu verbringen und da zu sein, dabei zu sein, wenn er sich von selbst auf den Weg in eine andere Welt oder ein anderes Leben macht – wer weiss das schon. Es zeigt sich nochmals eine große Verbundenheit und Innigkeit, gepaart natürlich mit großem Schmerz und Verlustgefühl. Aber so ist das halt, wenn einer geht, er hinterlässt ein Vakuum, eine unfassbare Lücke, eine unendliche Leere. Kein Katz mehr, das einen gurrend und schnurrend begrüßt, wenn man die Tür aufschliesst oder eben auch kein Hund mehr, der einem schwanzwedelnd entgegenkommt und fragt: und was machen wir jetzt, ich bin total ausgeruht und Du?

Es dauert lange, bis es tief drinnen an kommt, dass es kein ‚es ist‘ sondern jetzt ein ‚es war‘ heißt und ich bin froh, dass ich mit meiner Katze den ganzen Weg gehen konnte. Und es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, sie zum Schluss noch in einen Transportkorb zu stecken und irgendwohin zum Einschläfern zu bringen. Ich habe das hier zu Hause, in meiner und ihrer vertrauten Umgebung machen lassen, ich habe mich vorbereitet, wollte bereit sein, den ganzen Weg mit ihr zu gehen und das war gut so, auch wenn es schmerzhaft war. Ich habe es nicht vorher gewußt, ob es der ‚richtige‘ Zeitpunkt war, aber sie konnte an mich gekuschelt friedlich gehen, sie ist wirklich eingeschlafen. Und erst Tage danach wusste ich, dass es tatsächlich der richtige Zeitpunkt war. Ich hab sie hier behalten, noch zwei Tage und Nächte und erst dann habe ich sie zum Einäschern abholen lassen. Das war nochmals ein schlimmer Moment, denn dann war auch der Körper weg, dann war sie ganz weg. Und es war nochmal ein Stück leerer.

Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich es wichtig finde, sich mit dem Sterben und dem Verlust von seinem Tier zu beschäftigen. Und sich bewusst zu werden, dass man nur eine begrenzte Zeit zusammen hat. Und die sollte man nutzen, um es sich und seinem Vierbeiner gut zu machen. Um sich kennenzulernen, empathisch zu sein. Und wenn Sie Ihr Hund mal wieder mit seinen Dreckpfoten anspringt und Sie aussehen lässt, als hätten Sie schon die ganze Woche die selben Klamotten an, dann ärgern Sie sich nicht, schreien Sie ihn nicht an, überlegen Sie sich, was Sie tun können, um eine solche Situation in Zukunft zu vermeiden  – ihn zu erziehen wäre so eine Möglichkeit.

Und wenn Ihre Katze auf Ihre Lieblingsjeans pieselt oder die frisch gebügelte Wäsche Ihres Partners oder Ihrer Partnerin, dann überlegen Sie  nicht, sie abzugeben – die Katze -, sondern fragen sich, warum sie das macht und finden Sie eine Lösung.

Jetzt können Sie das noch. Irgenwann nicht mehr.

Mein Lieblingshundemädchen ist auch schon eine graue Schnauze und wenn sie manchmal nach einem Spaziergang so ganz langsam und gemütlich vor sich hintrottet oder mal stolpert, dann schau ich sie an und hoffe, dass sie uns noch lange Zeit erhalten bleibt. Und wenn sie dann massiv Streicheleinheiten einfordert oder mal ihre ‚zickigen Minuten‘ hat, dann hätte ich sie früher zurechtgewiesen. Heute denke ich: ok, sie ist halt eine alte Hundedame – lass mal gut sein. (Aber das lass ich sie natürlich nicht wissen, auf gar keinen Fall).

Ob irgendwann wieder eine Katze hier einzieht? Keine Ahnung, irgendwann vielleicht schon. Aber bis dahin möchte ich nicht gefragt werden: Und? Holst Du Dir eine Neue? Was soll das heißen: eine Neue? Das ist kein Auto, kein Dampfkochtopf, das ist, bzw. war ein Lebewesen, das mit mir, seinem Menschen, viele Jahre verbracht hat, das ist nicht austauschbar. Und: es braucht seine Zeit: zu trauern, sich zu verabschieden, sich an die neue Situation zu gewöhnen und das verdient Respekt. So wie der letzte gemeinsame Weg.

 

 

 

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